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Warum das Flüchtlingsquoten-Referendum in Ungarn so eine erzfaule Sache ist

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(c) Laszlo Ilyes, CC BY 2.0

(c) Laszlo Ilyes, CC BY 2.0

Wollen Sie, dass die Europäische Union die verpflichtende Übersiedlung von Nicht-Ungarn nach Ungarn gegen den Willen der Nationalversammlung anordnen kann?

Das ist die Frage, die am Sonntag den Ungarinnen und Ungarn zur “Volksabstimmung” vorgelegt wird. Warum auch nicht? Ob man das will oder nicht, das scheint doch auf den ersten Blick keine illegitime Frage zu sein. Vielleicht will sich die Regierung ja vergewissern, ob sie in ihrem Kampf gegen die europäischen Flüchtlingsquoten, den sie mit den Amtskollegen aus Warschau, Prag und Bratislava so erbittert führt, in der eigenen Bevölkerung hinreichend große Unterstützung findet. Kann man doch mal machen, oder?

Klar kann man das machen. Aber dann darf man es nicht Volksabstimmung nennen. Es doch zu tun, ist ein Etikettenschwindel, der verdeckt, dass dieses Verfahren nicht nur keine demokratische Legitimation erzeugt, sondern im Gegenteil welche kostet.

Es gibt eine Vielzahl guter Gründe, zu diesem Quoten-Referendum in Ungarn auf Distanz zu gehen. Politisch schon sowieso, allein schon wegen der gigantischen PR-Kampagne, mit der die Regierung der Bevölkerung einzubläuen trachtet, dass man sich Flüchtlingen nur mit gezücktem Pfefferspray  nähern sollte. Und selbst wenn man gegen Flüchtlingsquoten ist, ist nicht leicht einzusehen, wieso das ungarische Volk berufen sein soll, über einen EU-Rechtsakt abzustimmen, ohne dass auch die Portugiesen, Finnen und Österreicher dazu gehört werden.

Auch rechtlich ist die Sache fragwürdig, verbietet doch Art. 8 Abs. 3d der ungarischen Verfassung Referenden über Verpflichtungen, die aus einem internationalen Abkommen erwachsen. Und schließlich fehlt es auch demokratietheoretisch nicht an Ansatzpunkten für Kritik, und zwar auch und gerade von Verfechtern direkt-demokratischer Verfahren zur kollektiven Willens- und Entscheidungsfindung.

Daniel Schily, von mir sehr geschätztes Vorstandsmitglied bei Democracy International, empört sich zu allererst über die Tatsache, dass hier nicht das ungarische Volk abstimmt, sondern die ungarische Regierung abstimmen lässt. Premierminister Viktor Orbán “nutzt das ungarische Wahlvolk, um seine Politik gegen die EU und gegen Flüchtlinge bestätigen zu lassen. Damit steht die Abstimmung konträr zur Idee der direkten Demokratie, die vorsieht, dass Bürger einen Gesetzesentwurf initiieren, um damit die Politik der Parlamentsmehrheit beeinflussen zu können.”

Mir scheint aber das Hauptproblem ein anderes zu sein.

Volksabstimmungen sind dazu da, Entscheidungen herbeizuführen, für die das ganze Volk die Verantwortung übernimmt. Soweit sie demokratische Legitimation erzeugen sollen, müssen sie auf Handlungen bezogen sein: Was sollen wir tun? Dies? Oder das? Entscheidet euch. Trefft eure Wahl als freie und gleiche Bürger, auf dass wir kollektiv verbindlich wissen, was getan werden soll.

Das ungarische Referendum führt aber keine Entscheidung herbei. Die Ungarinnen und Ungarn sind nicht aufgefordert, zwischen kollektiven Handlungsoptionen zu entscheiden. Sie werden nicht gefragt, was getan werden soll. Sie können ja, wie gesagt, gar nicht alleine entscheiden, was auf EU-Ebene getan werden soll und was nicht. Sie werden nicht gefragt, was sie getan werden soll, sondern was sie davon halten, was andere tun.

Was Orbán somit tut, ist gar keine Volksabstimmung. Das ist eine Art konstitutionell maskierte Meinungsumfrage. Handeln tut im Rahmen der EU-Flüchtlingspolitik weiterhin er selbst und sonst niemand. Aber diese Meinungsumfrage versetzt ihn in die Lage, auf sein Volk zeigen und sagen zu können: Seht her, nicht ich bin verantwortlich, wenn wir EU-Recht brechen. Das Volk ist es! Das Volk will es, und ich gehorche bloß! Er schiebt die Verantwortung für Entscheidungen, die er trifft und er zu verantworten hat, auf sein Volk, als dessen einzig legitime Regierung er sich seit jeher ohnehin allein sich selber vorstellen kann.

Verglichen damit war das Brexit-Referendum, so furchtbar seine Folgen sind, eine demokratische Sternstunde. Das war wenigstens tatsächlich eine echte Handlungsentscheidung, die da zur Abstimmung stand. (Oder, Moment mal… war es eine? Was meint noch mal Brexit genau? Was wird jetzt, wo geklärt ist, was zu tun ist, noch mal genau getan? Siehe zu dem Thema den heutigen Artikel von Cormac Mac Amhlaigh nebenan…)

Was Ungarn betrifft, so ist vor diesem Hintergrund schon klar, warum in der Opposition kaum jemand bereit ist, sich für ein “Ja” bei dieser Abstimmung ins Zeug zu werfen. Die Sozialisten und ihre verschiedenen Spaltprodukte werben dafür, sie zu boykottieren. Eine Satirepartei namens “Zweischwänziger-Hund-Partei” wirbt mit bemerkenswertem Einfallsreichtum dafür, sowohl Ja als auch Nein anzukreuzen und so den Stimmzettel ungültig zu machen. Ob das reicht, die Beteiligung unter die nötigen 50% zu drücken? Immerhin, in den Umfragen scheint es eine leichte Tendenz nach unten zu geben.

Am Sonntag werden wir es wissen.

 


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